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Brief von Jenny Heuser an die Familie in Brasilien

Dieser Beitrag enthält einen Brief, den meine Urgroßmutter Eugenia „Jenny“ Heuser 1926 in Deutschland geschrieben hat. Der Brief war für Familienmitglieder bestimmt, die hier in Santa Cruz, Brasilien geblieben sind.

Sie scheint eine Frau mit Charakter gewesen zu sein. Sie wurde relativ früh, mit 46 Jahren, verwitwet und führte rund zehn Jahre lang das Geschäft ihres Mannes, bis sie es an ihre Kinder weitergeben konnte (siehe die Geschichte dieses Geschäfts in einem anderen Beitrag – auf Portugiesich). Und im Alter von 66 Jahren entschied sie sich, alleine nach Deutschland zu reisen, was damals nicht trivial war.

Der Brief wurde geschrieben, als sie ihre Tochter Wanda Heuser Ullmann besuchte, die dort mit ihrer Familie lebte.

Wanda war Eugênias älteste Tochter und hatte hier in Brasilien Emil Paul Ullmann geheiratet, einen deutschen Kaufmann mit Sitz in Porto Alegre. Neben Aktivitäten in Brasilien hatte Ullmann ein ländliches Anwesen in Schlesien, in Schöneiche. Soweit ich das beurteilen konnte, lebten die meisten Kinder des Ehepaares, auch wenn sie in Brasilien geboren wurden, in Deutschland und hinterließen dort Nachkommen. Wanda starb während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und ihr Mann starb hier in Porto Alegre in den 1950er Jahren.

Der Brief ist in Deutsch verfasst, der damaligen Sprache der Familie. Ich habe Links zur genealogischen Datenbank für Personen eingefügt, die ich identifizieren konnte.


Bremen den 14t. August 1926

An alle meine Lieben in Santa Cruz!

Am 10t kam ich nach einer sehr guten Fahrt hier an. Helmuth und Jenny holten mich vom Bremerhafen ab und war ich shon um sechs Uhr im Hause, während alle anderen Passagiere erst um 8 Uhr mit der Bahn hier sein konnten, der Biscaia und Kanal waren glatt wie ein Spiegel nur hatten wir im Kanal Nebel und es lagen 15 Schiffe um uns herum, es war Ohrenbetäubend, das Gebrüll der Nebelhörner, jede Sekund hörte man eins derselben, um 6 Morgens wurde es hell und konnten wir mit Volldampf bis hierher fahren.

Jenny´s Haus ist reizend. Der Kleine Erhard ein huebscher kleiner Junge, er ist so zutraulig zu mir als ob er mich immer gesehen haette, er denkt, das er mir alles zeigen muesste, und fuert mich an jeden Blumenstock und in jeden Winkel des Hauses, er ist sehr artig und lieb.

Morgen den 15t fahre ich nach Schoeneiche um am 16t zu Martha´s Geburtstag dort zu sein, ich freue mich schon auf die Kleine die auch so niedlich sein soll.

Vor ausgang des Monats will ich in Dresden sein da Wanda schon am 9t September von Hamburg abfaehrt. Kurt ist gestern von Nordenay hier angekommen, er ist sehr gross and sieht gut aus. Sein Lachen and Sprechen erinnerte mich sehr an Emil. Wir fahren Morgen zusammen bis Berlin and von dort faehrt er nach Dresden und ich nach Schoeneiche.

Ob ich wohl bald Briefe von Euch erhalten werde? Oder wenigstens die „Kolonie“? Hoffentlich ist dieselbe ueberhaupt bestellt, nach den letzten Erfahrungen, duerft Ihr mir nicht uebel nehmen wenn ich es bezweifele.

Meinem lieben Phil. sende ich die herzlichsten Glueckwuensche zum Geburtstage. Dieselben kommen ja ein wenig spaet dort an, kommen aber von ganzen Herzen.

Wie geht es bei mir zu Hause? macht Felippe seine Arbeit auch ordentlich? Gruesset Ihn von mir. Wie geht es Fr. Textor? ich muss so viel an Sie denken, ob die aermste noch so viel aushalten muss. Von Schoeneiche will ich Ihr schreiben. Wann ist Emils Hochzeit? ob ich wohl noch zeitig genug davon hoere um gratulieren zu koennen? Ich hoffe es doch. Meine Briefe die ich an allen Haefen zur Post gab, werdet Ihr doch wohl erhalten habe, denn ich bin ganz stolz darauf, wie viel ich geschrieben habe, durch Ullmann werdet Ihr auch wissen das ich gut ankam, denn ich telegrahierte an Ihn.

Nun will ich schliessen denn wir wollen noch ausgehen, ich schreibe bald wieder. Was macht Alfreds Garten? Hier Blueht alles wunderschoen, auch eine art „Japanische Ortencia“, so etwas schoenes habe ich noch nie gesehen, da will ich versuchen Stecklinge mitzubringen. Gruesset auch Petronita und die Kinder alle. Ihr muesst Ihr immer eine wenig meine Briefe uebersetzen, wenn ich nicht fuer Sie einens mit einlege.

Heute habe ich keine Zeit mehr.

Euch Allen, sowie allen meinen Enkeln eine Gruss und abraço von

Eurer Vovó

Stehend: Emil Ullmann und Wanda Heuser Ullmann
In der Mitte sitzt Eugenia Heuser
(Foto um 1900 vermutlich in Santa Cruz)